"Himmel unter Berlin" - Der jüdische Friedhof in Berlin Weissensee
Jüdische Gräber werden für die Ewigkeit angelegt. Seit ca. 1870 füllt sich das 80 Fußballfelder große Areal, damals angelegt auf einem baumlos kargen Feld weit vor den Toren der Stadt. Heute liegt der mythischste, wildeste großartigste Dschungel Berlins mit dutzenden 100 jährigen Baumriesen, fast vollständig unbeachtet inmitten in der hippen Metropole. Die ältesten Mausoleen sind inzwischen fast vollständig zerfallen, Inschriften und Sandstein vom Regen zerwaschen, aus mehreren Gräbern wachsen haushohe Bäume. Und seltsamerweise ist der Ort heute fast vollständig vergessen, irgendwie aus der Zeit gefallen, ein absoluter Geheimtipp, an den sich an durchschnittlichen Tagen vielleicht 15 Besucher der 3,5 Millionen Berliner plus 12 Millionen jährlichen Touristen verlaufen. Man kann stundenlang durch die phantastische Wildnis streifen, ohne einem Menschen zu begegnen. Und gleich hinter der Aussenmauer zur Indira Gandhi Allee tobt permanent massiver Autoverkehr. Inzwischen sind es über 117 000 Gräber, fast jedes individuell verschieden, was einen Bruch mit älteren jüdischen Traditonen bedeutete und seinerzeit heftig diskutiert wurde. Tradition, Klassizismus, Jugendstil und Moderne in Granit, Sandstein, Marmor und Kupfer. Römisch-griechische Säulen, ägyptische Stelen; elegante und protzige Mausoleen, barocke Tempel, gotische Kapellen, antike Tempel, frühchristlich anmutende Grüfte in solcher Dichte und Qualität, dass man Monate braucht, um einen groben Überblick zu bekommen. Irgendwann beginnt man zu ahnen, was Geschichte ist. Schon die Lebensgeschichte eines Toten läßt sich kaum umfassend dokumentieren, hier haben sich Familiengeschichten und Tragödien ganzer Epochen abgelagert. Von der Kaiserzeit und Weimarer Republik - die Blütezeit der jüdischen Integration mit christlichen anmutenden Segenssprüchen in deutscher Sprache, über das Elend des 3.Reichs und die stark wildnisbegünstigende DDR bis zu grellen Plastikgräbern mit kyrillischen Inschriften aus den letzten Jahren. Die Fotos sind ein romantischer Trip in die Wirklichkeit. Hier, im "Himmel unter Berlin", warten die zerfallenden menschlichen Körper und die Geister der Geschichte auf Erlösung.
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